Neurodermitis, Allergien, Asthma – Prävention beginnt bereits im Mutterleib
von Dr. Ronnie Gueta, Michaela Eckert, Maria Ermisch, Dr. Kathrin Garreis, Katja Lurz, Martina Niebling, Dr. Adrienn Teibert, Dr. Andreas Rüffer Labor L+S AG/Enterosan®
Immer öfter werden wir eindringlich vor einer Zunahme allergischer Beschwerden gewarnt. Daten des Robert Koch Instituts unterstützen diese Aussagen. Vor gut zwanzig Jahren, im frisch wiedervereinigten Deutschland, klagte lediglich jeder zehnte Mensch über Heuschnupfen, in den neuen Bundesländern sogar nur jeder siebzehnte. Mittlerweile ist jeder Fünfte betroffen – im Osten wie im Westen. Damit leiden in Deutschland auch bereits mehr als 20 % der Kinder und Jugendlichen an Asthma, Heuschnupfen und/oder Neurodermitis – Tendenz steigend. Die Lebensmittelindustrie hat das marktwirtschaftliche Potential dieser Entwicklung erkannt und entsprechend reagiert. Schonkost und allergenfreie Lebensmittel sind schon lange keine Nischenprodukte mehr, die ausschließlich in Apotheken, Bio-Märkten und Reformhäusern zu finden sind, sondern haben mittlerweile auch in unsere Supermärkte Einzug gehalten.
Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Und: gibt es Möglichkeiten vorzubeugen?
Bei einer Allergie (über-)reagiert das Immunsystem auf normalerweise harmlose Substanzen mit einer Vielfalt an Symptomen wie Hautausschlägen, Schnupfen und geschwollenen Schleimhäuten. Die Liste möglicher allergischer Beschwerden ließe sich noch (fast) endlos fortsetzen. Eine Behandlung der Symptome findet bei Neurodermitis oft nur mit Kortisonhaltigen Cremes, bei Asthma mit Sprays am Ort der Beschwerden statt. Doch dort ist meist nicht die Ursache zu finden. Die größte Kontaktfläche für Allergene liegt im Verborgenen: in unserem Darm. Auf einer Fläche von 300 - 500 m2 treffen tagtäglich Unmengen an Fremdstoffen aus unserer Umwelt auf diese Grenzfläche. Diesen muss der Übertritt in den Körper verwehrt werden. Aus diesem Grund sind mit etwa 70% auch der größte Teil der Körperimmunzellen im Darm zu finden. Gleichzeitig müssen allerdings Nährstoffe aufgenommen werden. Eine Gratwanderung zwischen Barriere und Durchlässigkeit also, die der Darm und das Immunsystem unseres Körpers erst mühsam erlernen müssen.
„Immuntrainer“ Darmflora
Dieser Lernprozess beginnt schon mit der Geburt. Während dieser schluckt das Neugeborene Keime der mütterlichen Vaginal- und Darmflora. Damit ist der Grundstein für eine lebenslange bakterielle Besiedlung des Darmes gelegt und ein regelrechter mikrobieller „Schutzschild“ wird aufgebaut. Doch nicht nur das: Die Entwicklung unseres Immunsystems ist eng mit dem Darm verbunden. Dabei fungieren die Darmbakterien als unsere persönlichen „Immuntrainer“. Versuche mit keimfrei zur Welt gekommenen und ebenso gehaltenen Mäusen zeigen, dass sich das Immunsystem nur mit einer intakten Darmflora voll entwickelt. Der permanente mikrobielle Reiz ist (über)lebenswichtig. Im Gegensatz zu natürlich geborenen Kindern haben Kaiserschnittkinder daher einen schlechteren Start. Ihnen fehlt die mütterliche „Schluckimpfung“. Doch auch nach einer natürlichen Geburt läuft die mikrobielle Entwicklung im Darm nicht immer in geordneten Bahnen. Ein wichtiger Faktor ist eine gestörte mütterliche Vaginalflora. Etwa ein Drittel der Schwangeren haben Probleme mit Pilz- und bakteriellen Infektionen. Fast die Hälfte davon sind zwar beschwerdefrei. Als Starterflora für das Neugeborene sind solche Zustände aber nicht ideal.

Muttermilch als Allergieprophylaxe
Auch frühzeitig abgestillte und mit Ersatzmilch ernährte Säuglinge sind oft im immunologischen Nachteil. Muttermilch ist optimal auf die Bedürfnisse der Mikroflora abgestimmt. Ersatzmilch hat eine andere Zusammensetzung. Die intestinale Flora von Flaschenkindern entwickelt sich daher nicht so wie bei Brustkindern. Und das hat auch Auswirkungen auf das Immunsystem. In einer großen skandinavischen Studie mit 17.000 Mutter-Kind-Paaren konnte gezeigt werden, dass Stillen das Auftreten von Allergien und die Gefahr von Darminfekten bei Kindern signifikant senkt. Ein entscheidender Faktor ist sicherlich die Förderung der Mikroflora und deren Effekt auf das Immunsystem. Daneben ist auch der hohe Gehalt von speziellen Abwehrstoffen in der Muttermilch von Bedeutung. Die eigene Produktion dieser Stoffe im Säuglingsdarm ist zunächst noch gering. Eine besonders wichtige Rolle als Schutzfaktor vor potenziellen Allergenen übernimmt das Immunglobulin A (kurz slgA). Findet man bei Erwachsenen bis zu 4 g sIgA in einem Liter Blut, sind es bei Kindern bis zu 6 Monaten nur etwa 0,8 g. Eine zusätzliche Versorgung von außen durch die Muttermilch ist somit essentiell für ein abwehrstarkes Immunsystem. Mehr zum IgA später.

,,Dreck“ gegen Allergien?
Nicht nur die Vertreter der körpereigenen Mikroorganismen sorgen für Schwung im Immunsystem. Auch frühkindliche Infekte scheinen das Allergierisiko zu senken. Bei Kleinkindern gelten bis zu acht leichte Infekte im Jahr durchaus als normal. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum Geschwisterkinder seltener als Einzelkinder und Kinder in ärmeren Regionen seltener als in Industrieländern an Allergien leiden. Einen wichtigen mikrobiellen Austausch bieten dafür auch die Kindergärten und -tagesstätten. Rein mikrobiologisch betrachtet handelt es sich dabei um hervorragende „immunologische Fitnesscenter“. Übertriebene Hygiene steigert dagegen das Allergierisiko. Denn ein bisschen „Dreck“ gehört zu einem gesunden Leben einfach dazu. Das Immunsystem braucht anscheinend regelmäßige Beschäftigung. Sonst spielt es irgendwann verrückt.
Therapeutischer Einsatz von Mikroorganismen
Dem mikrobiellen Training des Darmimmunsystems kann auch nachgeholfen werden: durch den Verzehr von Probiotika. Dies wurde beispielsweise in einer Studie mit 159 Schwangeren mit der Familienanamnese einer Atopie gezeigt. Die Gabe von Laktobazillen an Mütter und Kinder reduzierte deutlich das Auftreten eines atopischen Ekzems bei den Kindern. Vermutlich ein entscheidender Effekt dabei: die Steigerung der Produktion von Schleimhautantikörpern, dem oben schon erwähnten sekretorischen Immunglobulin A, kurz slgA.
Dabei fungiert der Darm als Dreh-und Angelpunkt für sämtliche Körperschleimhäute. Über spezialisierte Darmschleimhautzellen erfolgt im Dünndarm die kontrollierte Aufnahme von antigenem Material. Damit werden verschiedene Abwehrzellen aktiviert. Die bleiben nicht im Darm. Sie gelangen über den Blutkreislauf auf die anderen Körperschleimhäute. Ein Teil kehrt auch wieder in den Darm zurück. Nach ihrer Reifung produzieren sie lgA. Das wird durch die Schleimhautzellen geschleust und ist mit einem Fraßschutz vor mikrobiellem Abbau geschützt. Wie ein Schutzanstrich überziehen die „slgA“ genannten Antikörper daraufhin die Schleimhäute. Sie binden u. a. Eiweiße und neutralisieren deren mögliche Allergenität. Damit bietet das slgA auch Schutz gegen Allergene. Ein Schutz, der bei vielen Allergikern nicht in ausreichendem Maße besteht. Ein slgA-Mangel findet sich beispielsweise bei Asthmatikern 34-mal häufiger als bei Gesunden.
Wie dicht ist der Darm?
Ein weiterer wichtiger Abwehrfaktor gegen Allergene und Schadstoffe ist die Darmschleimhaut. Als mechanische Barriere muss auch sie den Übertritt von Allergenen verhindern. Doch viele Allergiker weisen eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut auf. Dieser Zustand wird auch als ,,Leaky gut Syndrom“ (übersetzt: „löchriger Darm“) bezeichnet. Die Folgen reichen über den Darm hinaus: Ein unkontrollierter Übertritt von Substanzen aus dem Darm in den Körper lässt wiederum die Gefahr immunologischer Überreaktionen und allergischer Zwischenfälle steigen. Die Entstehung von Allergien bzw. das Beschwerdebild bestehender Allergien wird gefördert.
Risikominimierung für Allergien
Welche vorbeugenden Maßnahmen können schwangere Frauen und junge Eltern nun treffen, um das Risiko für allergische und autoimmunologische Beschwerden zu minimieren, damit „das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt“?
• Mikrobiologische Kontrolle und Therapie:
Bereits vor der Entbindung können durch eine mikrobiologische Untersuchung der Vaginalund Darmflora der Mutter bakterielle Fehlbesiedlungen festgestellt und behandelt werden. Damit erhält Ihr Kind schon während der Geburt ein optimales mikrobielles „Starter-Abwehrpaket“. Auch nach der Geburt macht eine Untersuchung der Darmmikrobiota des Säuglings Sinn, um eventuelle Lücken gezielt probiotisch anzugehen.
• Vermeidung unnötiger Kaiserschnitte:
Kam vor wenigen Jahren nur jedes fünfte Kind per Kaiserschnitt zur Welt, ist es heute schon jedes dritte. Oft wird Schwangeren ein Kaiserschnitt empfohlen, weil dieser weniger zeitaufwändig als eine vaginale Geburt und damit besser planbar ist. Außerdem kann ein operativer Eingriff unter Betäubung schmerzfrei durchgeführt werden. Die natürliche Geburt hat allerdings viele Vorteile für Mutter und Kind und sollte daher einem Kaiserschnitt unbedingt vorgezogen werden, sofern keine medizinische Notwendigkeit für diesen vorliegt.
• Das Stillen:
In den ersten Lebensmonaten ist das Stillen ideal. Zur Stilldauer gibt es zwar unterschiedliche Empfehlungen, Einigkeit besteht aber darüber, dass Säuglinge mindesten bis zum Beginn des 5. Monats ausschließlich gestillt werden sollten. Auch nach der Einführung von Beikost – frühestens mit Beginn des 5. Monats, spätestens mit Beginn des 7. Monats – sollten Säuglinge weiter gestillt werden. Ist ein Stillen nicht möglich, sollten Sie hypoallergene Babynahrung (sog. HA-Nahrung) verwenden.
• Weitere Risikofaktoren, die Schwangere, Stillende und Kinder meiden sollten sind eine hohe Schimmelpilzbelastung in Innenräumen, Tabakrauch und natürlich den direkten Kontakt mit Schadstoffen wie Schwermetallen oder Lösungsmitteln.
All diese Maßnahmen können Allergien zwar nicht gänzlich verhindern, aber das Risiko lässt sich damit deutlich senken – für einen möglichst guten Start ins Leben.